Vorhang auf für den wilden Osten: Erstmals gastierte Burdas Erfolgskonferenz DLD in der russischen Hauptstadt. In der ehemaligen Schokoladenfabrik Digital October Center warfen Burda und die russische Skolkova Stiftung den Scheinwerfer auf die bislang eher unbeachtete, aber boomende russische Internet-Wirtschaft.  Bis auf wenige Ausnahmen fehlte der Konferenz allerdings der Glamour, für den sowohl Moskau als auch der DLD bekannt sind. MEEDIA-Autor Nils Jacobsen war vor Ort. 

Burda in Moskau? Davon hat vor allem die russische Frau eine klare Vorstellung. Exakt 25 Jahre es her, als der Münchner Verlag mit "Burda Moden" bei den stillbewussten jungen Russinnen in der späten Sowjetzeit einen bleibenden Eindruck hinterließ. Das Modemagazin von Hubert Burdas Mutter Aenne war 1987 die erste westliche Zeitschrift überhaupt, die in der früheren Sowjetunion in russisch publiziert wurde – die schicken Schnittmusterbögen wurde für eine ganze Generation junger Mädchen aus Plattenbausiedlung zum Sinnbild der großen weiten Welt des Westens. 

In zweiten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends haben sich die Vorzeichen um 180 Grad gedreht – nirgends wird das vor den Toren Europas deutlicher als in der russischen Hauptstadt, in der die moderne Russin in turmhohen Absätzen stilvoller durch den immer noch ziemlich harten Moskauer Alltag stakst als jedes Modell im deutschen Fashionklassikern posieren könnte.

So auch in der alten Schokoladenfabrik an der Moskva, die heute als Digital October Center den Konferenzmittelpunkt der russischen Startup-Szene bildet – die High Heels-Dichte und streng gezogen Lippenstifte war fraglos höher als auf jeder anderen europäischen Techkonferenz, der DLD-Mutterveranstaltung in der bayerischen Landeshauptstadt inklusive.

DLD Moscow: Yandex verkündet Angriff auf Google

Damit hatte sich der notorische Moskauer Glamour-Faktor auf der DLD-Konferenz, die am Pfingstmontag und Dienstag stattfand, aber auch erschöpft: Keine Branchenpopstars, wie man sie in den vergangenen Jahren in Form von Eric Schmidt, Jack Dorsey oder Sheryl Sandberg in München besichtigen konnte, stachen auf der Referentenliste ins Auge.  

Was nicht zuletzt am verengten europäischen Blickwinkel auf die russische Internetwirtschaft liegt: Tatsächlich konnte Burda in Zusammenarbeit mit der vom früheren russischen Präsidenten Medvedev ins Leben gerufenen Skolovo Stiftung die führenden Köpfe der lokalen Boombranche präsentieren – darunter Dmitry Grishin, CEO der Mail.ru Group, Pavel Durov, Gründer und CEO des russischen Facebook-Klons vKontakte.ru und Arkady Volozh, Gründer und CEO der Suchmaschine Yandex. 

Volozh zeigte sich vom Auftritt auf der Moskauer TechCrunch-Konferenz im vergangenen Dezember an derselben Stelle, als der CEO des immerhin wertvollsten europäischen Internetkonzerns von Andrew Keen böse vorgeführt wurde, deutlich erholt – und verkündete mit einer neuen Internationalisierungsstrategie den Angriff auf Google.

Russische Startup-Szene: Viel Geld, aber verhaltene Investitionsbereitschaft

Damit hatte die Internet-Konferenz ihren kleinen Scoop. Gehalt der meisten Vorträge jedoch: Wie auf den jüngsten Internetkonferenzen zuletzt wenig bahnbrechend. Maelle Gavet, französische Vorstandsvorsitzende des führenden lokalen Shoppingportals Ozon erklärte wie schon vor Wochen auf der nextdie unterschiedlichen russischen Online-Kaufgewohnheiten (persönlicher, hoher Gesprächsbedarf, Bezahlung bei Lieferung). 

Internetaktivistin Cindy Gallop hatte nochmals ihren kalkulierten Auftritt zum Thema Online-Pornografie: "Ich schlafe mit jüngeren Männern", wiederholt die Autorin von "Make love not porn" gebetsmühlenartig seit der next 2010, zuletzt noch mal auf der re:publica. Am Ende nippte die 52-jährige auf der DLD Party an einem Prosecco und stierte in der ersten Reihe auf die halbnackten russische Popband Tesla Boy. 

Und sonst? Xing-Gründer Lars Hinrichs, der bekanntlich 2009 seine Anteile an Burda verkauft hatte, zeigte sich gut aufgelegt und referierte über die Geheimnisse des "Early Stage Investings" – sein Inkubator HackFwd. hat inzwischen 16 Start-ups investiert. In Russland verläuft die Förderung von Internet-Startups dagegen noch zäher: "In Russia there is lots of money, but no capital", stellt etwa der russische Seriengründer Sasha Galitsky fest.

Achse mit Moskau: Auf dem Weg zum Silicon Stripe?

Dabei boomt der Markt: "Über 50 Millionen Russen nutzen das Internet und machen das Land zu einem dynamischen Digital- und Konsummarkt", erklären Steffi Czerny und Marcel Reichart, Gründer und Geschäftsführer von DLD, das Anliegen ihres Aufbruchs Ost. "Deshalb bietet DLD nun internationalen Investoren, Unternehmern und Experten einen direkten Einblick und Vernetzung in die russische Digitalwelt."  

Burdas Vorstandsvorsitzender Paul-Bernhard Kallen wurde noch etwas deutlicher: "Wir wollen digitale Unternehmungen starten und neue Digitalunternehmen kennenlernen", erklärte der Burda-CEO. Nur einer fehlte auf der zweitägigen Veranstaltung, die mit einer Bootsfahrt auf der Moskva am Sonntagabend eingeläutet wurde: Der Verleger selbst. Keine viel beachtete Rede von Hubert Burda über "Lousy Pennies" wie vor drei Jahren gegenüber Michael Arrington, keine geschmetterte Internationale wie im Januar. 

Aber darum ging es bei der ersten Auflagen der DLD Moskau sicher nicht, sondern um eine russische Königsdisziplin: das Netzwerken. Geschäftsreisende wissen: Ohne persönlichen Kontakt geht gar nichts in Moskau. Entsprechend versucht Burda den Bogen, der mit dem DLD Tel Aviv im vergangenen Jahr ausgeweitet wurde, nun um den Boommarkt Ost zu erweitern. 

Nicht von ungefähr sieht Yandex-CEO Arkady Volozh neben dem Silicon Valley einen noch wichtigeren "Silicon Stripe" der digitalen Innovationen aufziehen, ein Streifen der in den nordeuropäischen Ländern anfängt, über Russland und Israel nach USA geht. Das klingt ambitioniert. Doch wenn die Rechnung aufgeht, wäre zumindest etwas gewonnen: Burda steht in Russland künftig nicht mehr zuerst für Frauenmoden.

  

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